Elena Becker MA

Analyse-Raum oder: das paradoxale Prinzip
Editorial

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Vorliegt die durchgesehene 47. Druckausgabe der philosophischen Internetreihe von „hippocamus.de“.

Die erste Halbjahresausgabe 2024 trägt den Titel „Analyse-Raum“ und setzt die vorangegangene, seit dem Jahr 2000 im Internet zu aktuellen politischen Ereignissen erschienene Artikelreihe fort.

Inhaltlich und thematisch steht die Ausgabe im „Zeichen“ der beiden simultanen, dabei voneinander unabhängigen und „ursächlich“ verschiedenen Konflikte in der Ukraine und im „Gaza“- Gebiet.

Während der bereits seit zwei Jahren andauernde -Krieg- zwischen Rußland und der Ukraine auf die einzelstaatlichen Beziehungen der EU- und „NATO“-Länder einen determinalen Einfluß ausübt, der strukturorganisatorische Konsequenzen einschloß und derart in die -politische- (Tages-)Ordnung „integriert“1 worden ist, bestehen die -ferneren- Auswirkungen des seit dem 7. Oktober 2023 eskalierten „Nahost-(Dauer-Konflikts“ vorwiegend in Form eigendynamischer und z.T. gewaltsamer Exzesse im -Milieu- einer innerdeutschen (sog.) „Protestkultur“.

Allein an diesen Phänomenen wird ersichtlich, daß (sog.) „soziale Tatsachen“(Lévi-Strauss)2 wie „Proteste“, die „typologisch“ danach unterschieden werden können, ob sie wie die im zurückliegenden Zeitraum „massiv“ auftretenden „Bauernproteste“ in einer -immanenten- Gesellschafts-(Wirtschafts-)Ordnung verursacht sind, also „integrale“ Elemente sind oder des- integrale, externe Effekte eines Konflikts sind, dessen Ursachen und Austragungsherd in einem anderen „Zentrum“(N. Luhmann.Protest)3 verortet sind und die bundesdeutschen „Protest“-Ereignisse dazu als „peripherisch“(Luhmann, ebd.) betrachtet werden müssen.

Damit ist nicht ausgeschlossen, daß sich die -moralische- Rückfrage nach der „Verantwortung“(Luhmann) etwa für Gewalteskalationen, die von „Protestteilnehmern“ ausgehen und in Form von Gewaltakten gegen -gegnerische- Individuen (etc.) ausgeübt werden, auch an die Adresse der -lokalen- Staatsorganisation und Subsysteme richtet.

Eine -generalisierende- Analyse kann aber angesichts sei es organisierter oder spontan-chaotischer „Protestdemonstrationen“ nicht erwarten, auf dieselben oder andere deterministische „Prinzipien“(D. Hume)4 zu stoßen wie im abstrakt vereinfachten Modell eines z.B. geometrischen Prinzips und seiner „Demonstration“(Hume, ebd.).

Ein notorischer „Skeptizismus“ oder (sog.) „Pyrrhonismus“ versteifte sich zudem gerade darauf, diese „evidenten“ Prinzipien der Geometrie etc. „analytisch“ zu zersetzen und in -Widersprüche- zu verwickeln.

Die -skeptischen- „Paradoxa“, die die „Pyrrhoniker“ konstruierten, um die „Vernunft“ zu dekonstruieren oder, wie David Hume in seiner Schrift „Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand“ formulierte: zu „vernichten“(ebd. S. 137), richten ihren Angriff damit auch auf gerade diejenige Realitätsdimension, die die „sozialen Tatsachen“ und die -alltägliche- Erfahrung umfaßt und „tangiert“: die raum-zeitliche.

„Der Haupteinwand“, den die Pyrrhoniker gegen das alltägliche wie das „abstrakte“(!) Denken vorbrachten, betrifft, nach David Humes Erklärung, die

„Vorstellungen des Raumes und der Zeit; Vorstellungen, die im täglichen Leben und für eine achtlose Betrachtung sehr klar und verständlich sind, die aber dort, wo sie der gründlichen Untersuchung der tieferen Wissenschaften unterliegen (...), zu Prinzipien führen, die durchaus verkehrt und widersprüchlich erscheinen.“(D. Hume. Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand. S. 184)

Indessen haben die -wissenschaftlichen Disziplinen- der Soziologie und der Systemtheorie mit ihrem Exponenten Talcott Parsons geradezu im „Paradoxon“ und seiner -vielfältigen- Entfaltung in der Semantik und den Prozessen von Politik, Gesellschaft und „Kultur“ ein -“universal“ anwendbares- Analyseprinzip „entdeckt“, das ansonsten über „heterogene“(Luhmann, S. 201) Motive und Anlässe „realisiert“ wird.

Im Rahmen eines solchen Ansatzes ist es deshalb für eine Soziologie oder Systemtheorie relativ müßig, sich an einer -Michel Foucault („Archäologie des Wissens“)- „Isotopie“5 von „Begriffen“ wie dem eines -absoluten- „Wertes“(ebd.) oder -formatorischen- „Aussage(-funktionen)“ zu orientieren, die nur -innerhalb- einer „(traditionellen) Ordnung“(Foucault) von den immanent „verknüpften“(ebd.) diskursiven „Formationsregeln“(ebd.) gebildet werden.

Strukturell kann zwischen der -Ordnung- der menschlichen Rationalität und der -Ordnung- der „Natur“ allerdings eine (sog.) Isomorphie reklamiert werden, die der Pragmatist John Dewey („Die Suche nach Gewißheit“) implizit seiner Aussagethese zugrundelegte:

“Die Natur besitzt eine intelligible Ordnung in dem Maße, in dem wir durch unserere eigenen offenen Handlungen in ihr enthaltene Möglichkeiten realisieren.“(J. Dewey. Die Suche nach Gewißheit. S. 216)

John Dewey erhebt die naturwissenschaftliche „Erkenntnis“ zwar zum Maßstab.

Als solcher bedingt sie jedoch auch den -Wechsel- von einer, Dewey:

„traditionellen immanenten Rationalität“(ebd.) zur -Ordnung- einer nicht durch „synthetische“ Prinzipien („Vorstellungen“, Hume) wie demjenigen der „Verknüpfung“(Hume) oder „Synthesis a priori“(I. Kant) geleiteten „Intellibibilität“(ebd.), die -allein-

„durch menschliches Handeln zu realisieren ist.“(ebd.) Diese -neue- Intelligibilität erlegt dem Menschen seine -moralische- „Verantwortung“(ebd.) gegenüber der „Natur“(Dewey) auf.

Dewey leugnet nicht, daß den „sozialen“ und „moralischen Themen“(ebd. S. 217) ein eigener, nicht auf die „physikalische“ Natur und ihre „Erkenntnis“ reduzierbarer Stellenwert zukommt.

Es geht dem Pragmatisten Dewey also ebenso wie dem -strukturalen- „Positivisten“ Michel Foucault darum, wie Foucault in „Was heißt Kritik?“ notierte, eine singuläre Positivität“(ebd. S. 37) nicht simplifizierend auf die -Foucault- „Natur (der Dinge)“(ebd. S. 38) als deren -kausalwirksame- „Ursache“(ebd.S.37) -Prinzip zurück zu führen.

Die -Foucaults- „Analyse der [heterogenen] Positivitäten“(ebd.) bezieht diese anstelle auf eine (absolute) „Wesenheit“(ebd.) auf, Foucault:

“(banale) Akzeptibilitätsbedingungen, entfaltet im Kausalnetz, das zugleich komplex und beschränkt ist,- aber gewiß ganz andersartig ist und nicht der Sättigung durch ein einheitliches tiefes und pyramidalisierendes (nötigendes) Prinzip bedarf.“(M. Foucault. Was heißt Kritik? S. 37)

In einer solchen „Analyse“ der -allgemeinen und spezifischen- „Positivitäten“ sollen aber vonseiten Foucaults die -kausalen- „Verkettungsnotwendigkeiten“(ebd.S. 37) hervortreten, die dazu dienen, den -gegebenenfalls negativen- „Effekt“(ebd.) der „Singularitäten“(ebd.), der „Interaktionen“(ebd.) und der „(zirkulären) Aktionen“(ebd.) zu dechiffrieren und zu explizieren.

Außerdem in eine thematisch orientierte, „synthetische Verbindung“ gesetzt werden:

Th.W.Adorno, G. Agamben, A. Badiou, G. Deleuze, J. Dewey, M. Foucault, M. Horkheimer, D. Hume, C. Lévi-Strauss, H. Marcuse, N. Luhmann, J.-P. Sartre u.a.

Elena Hagl Becker M.A. Philosophie
Scheyern, den 28.02.2024