Elena Becker MA

Das (geometrische) Gebiet oder: das Projekt der Rettung

>>

Der Terroranschlag, der sich unmittelbar in Moskau ereignete, ging nach dahingehenden Erkenntnissen von islamistischen Attentätern aus.

Dazu liegt ein Bekenntnis des (sog.) „IS“ vor. Zudem seien in Rußland drei Täter tschetschenischer Herkunft inhaftiert worden.

In den russischen Medien kursierende Mutmaßungen über eine Verwicklung Frankreichs(!) wies der französische Außenminister entschieden zurück.

Indessen übernahm der israelische Präsident Netanjahu die Verantwortung für den vonseiten Netanjahus bedauerten Beschuß einer das Gaza-Gebiet durchquerenden Hilfsorganisation.

Nach eindringlicher (internationaler) Kritik u.a. des US-Präsidenten Joe Biden, sagte Netanjahu zu, Versorgungslieferungen ungehindert passieren zu lassen.

Nach der Aufforderung des Nato-Chefs Stoltenberg, die Ukraine mit Nato-Mitteln zusätzlich zu unterstützen, sprach Außenministerin A. Baerbock von „Doppelstrukturen“.

Der US- Präsidentschaftskandidat D. Trump schürt Ängste gegen „kriminelle“ Einwanderer.

Trumps -ungehemmter- Wahlkampfstil ist, vorsichtig ausgedrückt, nicht um eine „moderate“ Darstellung bemüht.

Wenn in den „Slogans“ des Republikaners nicht gerade die (sog.) „Parusie“ einer -“erneuerten“- „großen“ Nation (Amerikas) beschworen wird, inszeniert Trump seine Wahlkampfauftritte wie ein -politisches- Satyrspiel.

Dieses Genre setzt auf theatralische, „parodistische“ Effekte, die, wie die nicht-verifizierbare Aussage (Proposition) „Das goldene Gebirge liegt in Kalifornien“(M. Foucault)1 kein „Korrelat“(ebd.) besitzen, also -mehr oder weniger- rein „fiktional“ sind.

Das -Michel Foucault („Archäologie des Wissens“)- objektive „Korrelat“ dieses propositionalen Satzes ist somit nur eine -hypothetische- Möglichkeit, die -Foucault- ein unbestimmtes „Gebiet“ (Foucault, ebd.) bezeichnet, in dem nach Foucaults Worten derartige „Objekte“(ebd.) oder Formationen wie beispielsweise „goldene Gebirge“ mit einem Schlag „auftauchen“(ebd.) und fulgurieren können, -ohne- daß es sich dabei -notwendigerweise- um ein kartografisches oder „geometrisches“(ebd.) Gebiet handelt.

Es kann sich ebensogut um ein, Foucault:

“Gebiet von fiktiven(!) Gegenständen [handeln], die mit arbiträren [willkürlichen] Eigenschaften ausgestattet sind (selbst wenn sie eine bestimmte Beständigkeit und Kohärenz haben; Foucault) ohne Instanz experimenteller oder perzeptiver Verifikationen.“(M. Foucault. Archäologie des Wissens. S. 132)

Die Literaturgattung des -französischen- Klassizismus etwa weist eine innere, formgesetzliche Kohärenz auf, indem den -Autoren- einer fiktionalen Erzählform „Schlichtheit, Natürlichkeit, Strenge, Zurückhaltung und Verhaltenheit“(de Mandiargues.in: Sprachen des Körpers)2 zur Regel gemacht wurden.

Ähnliche „gebieterische Anweisungen“(ebd.) wurden vom -französischen- „Gesetzgeber“(ebd.) auch für die „modernsten Richtungen“(ebd.) in der Literatur und Publizistik erlassen, offenbar, um ein -Minimum- an „Wahrheitswert“(Foucault, S. 133) und „Sinn“(ebd.) zu garantieren.

Eine -eklatante- Abweichung von jeglichen klassizistischen oder -der informalen „Aufklärung“ dienenden- Stilvorschriften legte Pierre Klossowski mit seinen -narrativen- („Schauer“-)Geschichten wie u.a. „Le Baphomet“ vor, worin Klossowski ein „dionysisches“ Szenario schildert und eingehender: den „Teufel“ zum -imaginären- Realitätsprinzip statuiert, in dem die „Ordnung der Perversität“(in: ebd. S. 57) diejenige -Ordnung- der „Integrität“(ebd.) und der -garantierten- „Identitäten“(ebd.) außer Kraft setzt.

Das Rechtfertigungsargument, das die -angriffslustigen („rebellischen“, ebd. S.56)- untoten Geister dazu stimuliert, sich -und die Welt- zu konfusionieren, zu perturbieren und in -“dilemmatische“(ebd.S.57)- Verwirrung zu stürzen, wird in „Le Baphomet“ darin geltend gemacht, daß, (Deleuze/ Klossowski):“Gott für keine Identität mehr garantieren “(ebd.) könne.

„Ein für allemal“(Deleuze/) soll eine in perverse Exzesse verwickelte, versunkene saturnalische Welt das Theologumenon der „Auferstehung des Fleisches“(ebd.) in seiner äußersten Parodie und -satanischen- Version vorführen und zelebrieren.

Aber in Klossowskis -Gestalt- des „Baphomet“ ist es -nicht- Gott, sondern sein von ihm ununterscheidbar gewordener Simulant und Widersacher, der zum „transzendentalen“(ebd. S. 62) und -regulativen- „Prinzip“(ebd.) stilisiert wird, das den (sog.) „Übergang“(ebd.) des -Dinges- durch alle transformalen Verwandlungen, die „Gefahr der Verdoppelung“(M. Foucault in:ebd. S. 27) wie in Klossowskis „Le Bain de Diane“(ebd.) oder alle beliebigen „mögliche(n) Prädikate“(ebd.) von „syllogistischen“ Wahrheits-Sätzen, Aussagen, Propositionen etc. „regelt“.

Damit nimmt Klossowski nach Deleuze/Foucaults Ansicht seinen Ausgangspunkt von F. Nietzsches „Nihilismus“ und insbesondere Nietzsches These vom „Willen zur Macht“, um, wie Deleuze/ Foucault behaupten, die „pathologischen“(ebd. S.63) Identitäten quasi einer -homöopathischen- Kur zu unterziehen.

Dazu explizieren Deleuze/Foucault in „Sprachen des Körpers“:

“Klossowski erneuert nicht nur die Interpretation Nietzsches, wenn er den Zusammenhang zwischen den großen Themen aufdeckt, zwischen dem Tod Gottes, dem Verschwinden der personalen Identität, dm Willen zur Macht als Intensität und Intentionalität und der notwendigerweise aus diesen Prämissen folgenden Ewigen Wiederkunft. Er nimmt darüber hinaus Nietzsche als Ausgangspunkt: schon der Souffleur, der Roman von Krankheit und Heilung, schließt mit einem Hinweis auf die Ewige Wiederkunft. Und wir [Deleuze/Foucault] meinen, daß Klossowski mit dem Baphomet innerhalb seines eigenen Werkes, und zwar mit den ihm selbst gemäßen Mitteln, einen neuen und grandiosen Zarathustra [F. Nietzsche] geschaffen hat.“(G. Deleuze/M. Foucault in: Sprachen des Körpers. S. 63)

Worin besteht aber die -“homöopathische“- Selbsttherapie der dem -Prinzip- der „zufälligen“ Devianz in Form der Differenz und der „Kontingenz“ anheim gefallenen -körperlosen- Geister?

Deleuze/ Foucault hierzu:

“Sobald aber die Singularität argwöhnt, daß sie außerhalb der Identität eines Ich dem Zufall ausgesetzt ist, will sie auch alle anderen Möglichkeiten, alle die anderen Ichs, die sich in ihr auflösen und in denen sie sich auflöst:`Es bleibt mit also nur übrig, mich aufs neue selbst zu wollen, nicht mehr als Ziel dieser vorerwähnten Möglichkeiten, noch als eine Verwirklichung unter tausend, sondern als ein zufälliges Moment, dessen Zufälligkeit selbst die Notwendigkeit der integralen Wiederkunft... einschließt´.“(ebd. S. 63)

Damit wird aber erst eine ganze „transzendentale Pathologie“(A. Badiou)3 ins Leben gerufen, die als Intentionalität eine neg-ontologische Gegenantwort und -entwurf zu -I. Kants- Versuch instauriert, in den Worten Th. W. Adornos, die „Rettung“4 -der Ontologie- zu

„vollbringen mit der Kraft dessen, was das zu Rettende bedroht.“(Th.W.Adorno Negative Dialektik. S. 74)

Das -I. Kants- Projekt der -die raumzeitliche Aktualität absichernden- Verankerung im (sog.) „transzendentalen“ Subjektdenken hängt zweifellos einem „platonischen“ Seinsdenken (Ontologie) an, das sich im -Kantschen- „Transzendentalismus“ getarnt konservierte.

Auf den Platonismus geht die „gebietsmäßige“(J. Dewey) Aufteilung der „dualistisch“ getrennten Realitäten, der raum-zeitlichen, veränderlichen und der des -ewigen- „Begriffs“ oder „Logos“(gr. Rede,Wort) zurück, in dem es, wie Alexandre Kojève in „Hegel“ schreibt: „keine Variationen gibt“(A. Kojève. Hegel. S. 101)

Auch im Hinblick auf die im Platonismus in die Vorexistenz verlegte, prädestinale und determinierende „Selbstwahl“(Kojève, ebd.) ist die platonische Seinsontologie das -diametrale- Gegenstück zu einer Nietzsche´s proklamatorischen „Bejahung“ der -kontingenten- Existenz („So wollte ich es!“, Nietzsche).

Zum Platonismus als -Garanten- eines einheitlichen „absoluten Wissens“ erklärt Kojève:

“Jedes System des theo-logischen absoluten Wissens sieht in dem Begriff eine ewige Wesenheit, die sich auf die Ewigkeit bezieht. Und umgekehrt läuft eine solche Auffassung vom Begriff,..., notwendig auf ein theo-logisches Wissen hinaus. Wenn die Ewigkeit, wie bei Plato, außerhalb der Zeit liegt, so ist das System streng...von der Transzendenz beherrscht: das Sein Gottes ist wesentlich anders als das Sein dessen, der davon spricht; und dieses göttliche Sein ist absolut eines und einzig d.h. ewig mit sich selbst identisch und schließt so jede Veränderung aus.“(ebd. S. 102)

Die -christliche- Lehre des „Fleisch“ gewordenen „Logos“, der im „Wort“ den -Kojève- „Sinn des Wirklichen“(ebd. S. 129) geoffenbart habe, um so den -transitorischen- Übergang in die kontingente Wirklichkeit zu ermöglichen, richtete sich daran auf.

In der -klassischen- griechischen Philosophie sind aber auch die Ansatzpunkte für einen in das moderne -industrielle- Zeitalter fortwirkenden Konflikt zwischen „stabilisierenden Tendenzen“(H. Marcuse)5 und den entgegengesetzten -“nihilistischen“ oder zerstörerischen- Energien zu finden, die -je für sich- die „Rettung“(gr.??????; sozein) des Seins reklamieren.

Der „Konflikt“(Marcuse, ebd.) der -traditionellen- Philosophien, namentlich der Gegensatz zwischen „Platonismus“ und einem aristotelischen „Syllogismus“, trägt sich so nach Worten Herbert Marcuses („Der eindimensionale Mensch“) nicht nur in die Ära des Industrialismus hinein, sondern in den verschiedenen Variationen eines -Marcuse- „Kampfes um die Wahrheit“(ebd, S. 140) aus, der die „ontologischen Verhältnisse“(ebd.S. 141) einer -objektiv- „antagonistischen Wirklichkeit“(ebd.) spiegelt.

Die mit platonisch-transzendentalem Vorzeichen versehene Aporie tut sich dadurch auf, daß -von einem absoluten wie relativen Standpunkt aus- auch das Projekt der „Rettung des Seins“(ebd. S. 141) in der phänomenalen Erscheinungswelt als „zerstörerisch“(ebd.) erscheinen (ebd.) kann.

Dieses Problem tritt in der -geometrischen wie physikalischen- „Beschreibung“ der Realität, zumal bei der Beobachtung eines im Raum beweglichen Objekts, das in „quantenphysikalischen“ Verhältnissen und Dimensionen keine genaue Orts- oder Geschwindigkeitsangaben erlaubt, offen zutage.

Gemäß des -Prinzips- der (sog.) „Heisenbergschen Unbestimmtheit“ oder auch „Unschärferelation“ werden die determinalen Bedingungen einer quantenphysikalischen Messung oder „Aussage“ durch eine vorhergehende „Wahl“(J. Dewey. Die Suche)6 bei der -“vorher“ bestimmten- Beobachtung eines kinematischen (Beschleunigungs-)Vorgangs in der „Mikrophysik“ festgelegt.

„Das Element der Unbestimmtheit“, gibt John Dewey in „Die Suche nach Gewißheit“ allerdings zu bedenken,

„hängt nicht mit einer Unzulänglichkeit der Beobachtungsmethode zusammen, sondern gehört zum Wesen der Sache selbst. Das beobachtete Teilchen hat keine feste Position oder Geschwindigkeit, denn es wandelt sich aufgrund seiner Interaktion die ganze Zeit über; speziell in diesem Fall aufgrund seiner Interaktion mit dem Akt(sic) seiner Beobachtung oder genauer mit den [physikalischen] Bedingungen, unter denen eine Beobachtung möglich ist; denn es ist nicht der `mentale´Aspekt der Beobachtung, der den Unterschied ausmacht. Da je nach Wahl entweder die Position oder die Geschwindigkeit fixiert werden kann, wobei das Element der Unbestimmtheit auf der jeweils anderen Seite bleibt, erweisen sich beide als ihrer Natur nach begrifflich. Das heißt, sie gehören zu dem intellektuellen Apparat, den wir verwenden, um mit der schon bestehenden Realität umzugehen.“(J. Dewey. Die Suche nach Gewißheit. S. 203f)

Da der Pragmatist John Dewey außerdem der erklärten Überzeugung ist, daß der -griechische- Begriff der „Vernunft“(gr.???? ; nus) über eine genuin -“technische“(Dewey, S. 213)- Bedeutung verfügt, kann er auch -Jean Piagets- Auffassung vertreten, daß alle Objekte (sog.) „Aktionsobjekte“(Adorno, S. 117) sind, die etwa in „sozialen Angelegenheiten“(Dewey, S. 213) der -Dewey- „Wahl unserer Ziele“(ebd.) und der direkten „Intervention“(ebd.) unterliegen.

„Aber wenn“, so unterstreicht Dewey seinen Standpunkt,

„der Mensch im Erkennen ein Mitspieler(sic) auf dem natürlichen Schauplatz ist, ein Faktor bei der Erzeugung erkannter Dinge, hindert die Tatsache, daß der Mensch als ein Faktor an sozialen Angelegenheiten teilnimmt, ihn nicht daran, sie zu erkennen. Ganz im Gegenteil, eine bestimmte Methode gelenkter Teilhabe ist eine Vorbedingung dafür, daß er ein echtes Verständnis gewinnt. Menschliche Intervention um der Bewirkung von Zielen willen ist keine Einmischung, sondern ein Mittel der Erkenntnis.“(ebd.S. 213)

Verglichen mit -Deweys- pragmatischem Standpunkt, der den Menschen als Faktor in die „instrumentelle“ Relation zum „objektiven“ Sein integriert, erscheint Th.W.Adornos Positionierung des „intelligiblen“ Menschen in den realen „Schuldzusammenhang“ nachhaltig „theologisch“ bestimmt, während M. Heideggers seinsontologische Fundierung des menschlichen Daseins als „Zugehörigkeit“(Heidegger) in die - „Zone“(Heidegger)- und das „Wesen des Nihilismus“7gemäß A. Kojèves Zuordnung: monotheistisch-“geometrisch“(Kojève, S. 102) erscheint.

So erkennt Th.W.Adorno in „Negative Dialektik“ der menschlichen „Intelligibilität“ überhaupt nur eine -“positiv“ affirmierte- „schuldhafte“ Prädikation zu:“Trotzdem ist vom intelligiblen Charakter nur insofern zu reden, wie er nicht abstrakt und ohnmächtig über dem Seienden schwebt, sondern in dessen schuldhaften Zusammenhang, und von ihr gezeitigt, stets wieder real aufgeht.“(Th.W.Adorno. Negative Dialektik. S. 294)

Die - “Angst“(Adorno, S. 153)- vor der „Auflösung“(ebd.) der selbstidentischen Subjektivität und die existentielle „Unruhe“(E. Bloch)8 kann aber nur in der -Hegel- „Musik“(ebd. S. 286) und der -bildlichen- „Kunst“(ebd. S. 289) -positiv- beschwichtigt werden, die nach Worten Ernst Blochs die „gerettete Rettung“(ebd.) ist. E.B.