Elena Becker MA

Die indifferente Position oder: Informations-Freiheit

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Nach dem vonseiten des Iran auf Israel verübten Raketenangriffs „mahnte“ die EU u.a. Deutschland beide Seiten zur „Zurückhaltung“.

Der israelische Präsident Netanjahu verwies jedoch auf einen -eigenen- Entscheidungsvorbehalt.

Bei einem weiteren Luftangriff Rußlands auf die Ukraine wurden erneut (13) Menschen getötet.

Der ukrainische Präsident Selenskyj bat die EU-Länder daraufhin um -Mittel- zur Luftabwehr.

Diese wurden der Ukraine von den EU-Ländern sowie im Rahmen einer Nato-Ukraine- Konferenz bereits zugesichert.

Nachdem der deutsche Wirtschaftsminister P. Lindner für eine Verbesserung des -freien- „Marktes“ und des „Angebots“ optierte, trat auch Bundeskanzler O. Scholz für eine -struktuerelle- Fusion der europäischen (Binnen-)“Märkte“ ein.

Im Schweigegeld- Prozeß gegen Ex-Präsident D. Trump wurde vorab eine (sog.) „Jury“ gewählt. Bei einer Anhörung im Fall des „Wikileaks“- Gründers J. Assange sollen die grundsätzlichen Rechtsprinzipien geklärt werden.

Die (bundes-)deutsche „Verfassung“ feiert ihr 75-jähriges Bestehen.

Die deutsche - „freiheitlich-demokratisch-rechtliche“- Verfassung, die seit dem Jahr 1949 in Kraft trat, besitzt scheinbar selbstverständlich die -Form- eines „Textes“, der aber weder über einen -rein- informalen Charakter noch die Charakteristik einer -explikativen- „Beschreibung“ (des „konstitutionellen“ Rechtsstaats) verfügt.

Die grund- und verfassungsrechtliche Axiomatik reklamiert zudem eine -allgemein, verbindliche- („universale“) Normativität, die ihren „Statuten“ zur „apriorischen“ Erklärung1 dient, die -vorläufig- eine -innere- „Historizität“ der Rechtsentwicklung determiniert.

Die -“konstitutionelle“- Verfassung ist das „determinale“ (End-)Ergebnis einer teils„dogmatisch“, teils „doxatisch“ verlaufenen, also an -subjektiven- Meinungsverschiedenheiten und -“konsens“ orientierten Entwicklungsgeschichte, die für die einzelnen Subjekte verbindlich vorausgesetzt wird.

Der als „Subjekt“ vorgestellte und designierte „Gesetzgeber“ ist -nicht- mit demjenigen (Rechts-)Subjekt identisch, auf das sich eine normative Aussage vom -Typ- „Man hat bereits bewiesen, daß...“(M. Foucault. Archäologie)2 bezieht und in deren bestimmte Modalität das -variable- Subjekt ebenso „einsetzbar“ ist wie andere Determinanten einer -operationalen- „Proposition“(ebd), die eine -strukturelle- Gegebenheit konstituieren.

Die „in-differente Position“(ebd. S. 136) des „Subjekts“ zur -determinalen- „Aussage“(Proposition) expliziert Michel Foucault in „Archäologie des Wissens“ in folgenden Worten:

“...sie wird in einer demonstrativen Zeit festgestellt, deren vorhergehende Augenblicke sich nie verlieren und die also nicht auf identische Weise erneut begonnen oder wiederholt zu werden brauchen, um erneut gegenwärtig gemacht zu werden (eine Erwähnung genügt, um sie in ihrer ursprünglichen Gültigkeit zu reaktivieren); sie wird durch die vorgängige Existenz einer bestimmten Zahl von wirksamen Operationen determiniert, die vielleicht nicht von ein und demselben Individuum vorgenommen werden (...), die aber selbstverständlich auch dem (äußernden) Subjekt zugehören, die zu seiner Verfügung stehen und die es bei Bedarf(sic) einsetzen kann. Man wird das Subjekt (einer solchen Aussage) durch die Gesamtheit dieser Erfordernisse und dieser Möglichkeiten definieren“(ebd.).

Aus dieser auf „axiomatische“ Aussagen wie -paradigmatisch- in „mathematischen Abhandlungen“(ebd. S. 136) oder -juristischen- „Texten“ Bezug nehmenden Feststellung ist also die -Problematik- des in der Systemtheorie als „Zeitproblem“ bezeichnenden Aspekts ausdrücklich ausgeschlossen.

Juristisch gesehen wird eine -weitere- Zeitspanne und ihre bewußtseinsimmanente Reflexion etwa im -formalen- Begriff einer „aktuellen Gegenwart“(N. Luhmann. Gesellschaftsstruktur)3 punktuell festgesetzt (determiniert), auch wenn sich diese wie etwa im konkreten Fall des „Grundbesitzes“ auf ein über mehrere Generationen hinweg dauerndes Besitzverhältnis erstreckt.

Dazu erklärt Niklas Luhmann in „Gesellschaftsstruktur und Semantik“:“(Auch) als Grundlage für Rechtsansprüche“, die sich aus einem -konkret- grundrechtlichen Kontext mit einem in der Vergangenheit begründeten Anspruch (theoretisch) ableiten, ist, so Luhmann,

„Vergangenheit stets aktuelle Gegenwart. Aus all diesen Gründen kann sich die Gesellschaft keine linearisierte, aus der Sequenz datierbarer Zeitpunkt bestehende Zeitvorstellung leisten(sic)“( N.Luhmann.Gesellschaftsstruktur und Semantik. S. 66)

Darin eruiert die -an und für sich paradoxe- Konsequenz, mit der -Ende des Mittelalters- die Vergangenheitsvorstellung mit einer, Luhmann: „mythischen Zeit des Ursprungs“(ebd. S. 66f) verkontextet wurde, die der -platonischen- Idee des (gr.)„????“(aion; Ewigkeit) deutlich nachgebildet ist.

Zitat Luhmann:

“Nach der kurzen Zeitspanne einer unmittelbar im Gedächtnis bewahrten Vergangenheit von ein bis zwei Generationen gibt es nur jene mythische Zeit des Ursprungs, auf die man sich in aktuellen Kommunikationen beziehen kann und die als eine Art funktionales Äquivalent für Unveränderlichkeit dient.“(ebd. S. 66f)

Mit Blick auf zu jener Zeit schwelende innergesellschaftliche Konflikte, die namentlich in Gestalt von „Bauernrevolten“(ebd. S. 67) drohten, enthielten im 17. Jahrhundert die „spezifischen Äußerungen“(Luhmann, ebd.), die die „territorialen“ Differenzen thematisierten, wie Luhmann bekundet,

„vorherrschend Warnungen; oder jedenfalls den Rat, bei Neuerungen vorsichtig vorzugehen und Klugheit walten zu lassen.“(ebd.)

Noch in -Luhmanns- Aussage bleibt die klassische Ideenverbindung zwischen -dem Begriff- der „Klugheit“(lat.prudentia) und dem -in der jüdisch-christlichen Theologie mit der (sog.) „Parusie“-Erwartung konnotierten- Begriff der „richtigen Zeit“- (gr.) ??????; kairos- konserviert, der erst wieder in „Entscheidungs“-situationen und -fragen der „Wirtschaft“(!) ein „Wiedererscheinen“(Foucault, S. 137) beschieden ist.

In „Die Moral(!) der Gesellschaft“ erörtert Niklas Luhmann so die „novellierte“ Begrifflichkeit der „prudentia“ im -Bezugssystem- einer „modernen“ datenbasierten Ökonomie und ihrer einzelnen „Geldpolitik“ betreibenden Institutionen, die unter der Anforderung stehen, den

„richtigen Zeitpunkt für Entscheidungen ausfindig zu machen.“(N. Luhmann.Die Moral der Gesellschaft. S. 204)

Diese Feststellung wird zumal dann wieder aktuell, wenn nach Mitteln und Möglichkeiten zur „Steuerung“(ebd.) -der Wirtschaft- sei es durch „Prognosen“(ebd.), sei es durch den „investiven“(ebd. S. 205) Einsatz von „Geldmitteln“(ebd.) Ausschau gehalten wird.

Die -tieferen- Schwierigkeiten, mit denen beispielsweise die „Bekämpfung“ der „Inflation“(ebd.) befrachtet ist, liegen aber, wie Luhmann in „Die Moral der Gesellschaft“ feststellte, anderswo: „Viel von diesen Problemen“, so Luhmann,

„geht darauf zurück, daß wir wirtschaftliche Rationalität nur an Hand von unternehmensspezifischen Bilanzen erkennen können und auch dies nur bei ausreichender Differenzierung von Unternehmen und Markt.... Das besagt auch, daß die Geldpolitik nur die Möglichkeit hat, auf Grund des jeweils historisch augenblicklichen Zustands des Systems ausgleichend zu wirken. Die Beobachtungsinstrumente sind dann hochaggregierte Daten, die niemanden sonst in der Wirtschaft interessieren.“(ebd.)

Damit ist das Problem von (sog.) „Entscheidungs-“ und „Steuerungstheorien“ aber nur gestreift, auf das Niklas Luhmann in seinem Buch „Die Wirtschaft der Gesellschaft“ näher eingeht.

Dabei fällt allerdings eine -„objektive“- „Theorie des Entscheidens“4 quasi unter ein -systemtheoretisches- Dementi: sie tritt, wie Luhmann ausführt, in die mediale Funktion einer durch „Provokation“(ebd.) -von Entscheidungen- zumal mithilfe von -spezifischen- „Informationen“(ebd.) erfüllten „Erwartung“(ebd.).

In -politischen- Szenarien wie der „Kuba“- Krise5, in der ein militärischer Konflikt zwischen Rußland und USA nur knapp abgewendet werden konnte, kommt damit eine Art Rückkopplungsschleife zustande.

“Man setzt dabei“, erläutert Luhmann,

„erwartete Effekte an die Stelle des Entscheidungsverhaltens. Nur mit diesem Rückblick aus der (gegenwärtigen) Zukunft in die (gegenwärtige) Vergangenheit ist es überhaupt möglich, ohne besonderen Erwartungsausdruck wahrzunehmen, daß man eine Entscheidung trifft. Auch für offene Entscheidunggssituationen ist es daher in weitem Umfange charakteristisch, daß man im Laufe des Entscheidungsprozesses zu entdecken versucht, gegen welche Erwartungen man mit welchem Entscheidungsverlauf verstoßen würde und ob man das wollen bzw. in Kauf nehmen kann oder nicht; und entsprechend werden dann Zwecke aufgesetzt.“(ebd. S. 286)

In derartigen re-konstruierten Entscheidungsfällen werden, Luhmann zufolge, u.a. „Informationen“(ebd.) sensibel verwendet, wobei sie -explizit- nicht den Kriterien des „rationalen Entscheidens“(ebd.) obliegen, sondern -in „Organisationen“(ebd.)- geradezu indiskrete „Mittel zum Zweck“ bereitstellen, Luhmann:

“Informationen machen gesprächig(!),..., und sie sind nützlich für den Fall, daß die zu treffende oder getroffene Entscheidung in Diskrepanz (sic) gerät zu den Erwartungen. Entsprechend werden Informationen in weitem Umfange gegen ihren angegebenen Sinn gelesen: sie verraten(!) etwas über die Entscheidungserwartung des Informanden; sie drängen die Entscheidung in eine Richtung, weil jemand das wünscht“.(N. Luhmann. Die Wirtschaft der Gesellschaft. S. 287)

Unter solchen -“kontrolliert“- durch Information „irritierten“6, wie es Luhmann in „Gesellschaftsstruktur und Semantik“ ausdrückt, Votraussetzungen, werden im Systemgedächtnis(ebd.), Luhmann:“Kanalisierungen in die eine oder andere Bahn (des Gedächtnises)“(ebd.) eröffnet, wobei -im System- in der Regel das „Vergessen“(ebd.) über die davon unterschiedene „bifurkale“ Möglichkeit des „Erinnerns“ dominiert, was aber Gregory Bateson zufolge heißt, daß jeder „Irritation“ ein „Informationswert“(ebd.) zukommt und -das System- als solches „digitalisiert“(ebd.) ist.

Die Folgen, die für das -gesellschaftliche- System aber durch die, wie Niklas Luhmann in „Die Politik der Gesellschaft“ formuliert: „Fiktion des Informiertseins“7 entstehen, sind aber ggf. noch gravierender als diejenigen einer etwaigen „Gedächtnis(=„Informations“-)lücke“.

„Es genügt natürlich“, behauptet Luhmann,

prätendiertes Wissen, aber es zahlt sich aus, wenn man immer schon mehr weiß, als in den Zeitungen stand und anderen ihr Wissen erklären kann. Deswegen spielen in der Politik persönliche Netzwerke für die Weitergabe von nicht (oder noch nicht) öffentlichem [Geheim-]Wissen eine erhebliche Rolle. In diesen Netzwerken wird teils schnell informiert, teils Wissen verbreitet, das zu delikat ist für Publikation, oder auch Wissen, dessen Veröffentlichung für alle, die es kennen, nachteilig wäre.“(N. Luhmann. Die Politik der Gesellschaft. S. 297)

Das politisch weitreichend einsetzbare Schema des Informiertsein-/Nicht- wird gemäß Luhmanns Analyse zum Substitut anderer -vorgängiger- „Beobachtungs“-Schemata, die durch eine „ontologische“ Differenz wie Sein/Nichtsein(ebd.) oder „res/verba“(lat. Sache/Wort; ebd.) gekennzeichnet waren.

Im transfigurierten Beobachtungsschema (Luhmann) und -“dritten“- Instanz der (sog.) „öffentlichen Meinung“ werden ebenso auch solche -gesellschaftliche- Stratifikationsschemata „desavouiert“(ebd.), die in den vor-industriellen Gesellschaftsformen an -die Differenz- von Besitz/Besitzlosigkeit gekoppelt waren und eng mit Ständeorganisation und dem -juristischen- Status der der Ständeordnung oder (sog.) „bürgerlichen Recht“ unterworfenen Individuen einher gingen.

In seinem „System der Sittlichkeit“ korrelierte G.W.F. Hegel überdies die -subjektive und objektive- „Differenz“ der -persönlichen- Verhältnisse mit den „systemischen“ Unterscheidungen absolut/nicht- sowie endlich/ unendlich.

„Eine absolute Regierung“, schreibt Hegel dort hypothetisch, könnte

„den zweiten und dritten Stand,..., hierüber sich selbst überlassen(sic) und ihn in seinem vergeblichen(sic) Bestreben, das absolut gesetzte Endliche des Besitzes ins Unendliche aufzunehmen, gewähren lassen, welches bemühen sich darstellt als Vollständigkeit(!) der bürgerlichen Gesetze.“(G.W.F. Hegel. In: Frühe politische Systeme. Frankfurt. 1974. S. 99)

Aber solche, nach Hegels Klassifikation: „schlechte Unendlichkeit“(ebd.) müsse durch das -Hegel- „Organische der Konstitution“(ebd.) korrigiert werden, als deren -organisches- „Prinzip“(ebd.) nach Hegel zwar die „Freiheit“(ebd.) fungiere, aber nur in seiner, Hegel:“mechanischen Konstitution“(ebd.).

Dieses organo-mechanistische „Prinzip“ also „begreift sich“, so Hegel weiter, hingegen

„als Organisation der Gerichtshöfe und ist eine Analyse des Streits und der Entscheidung desselben.“(ebd.)

Damit stellte Hegel der, mit Niklas Luhmann, (schlecht-unendlichen) „Rede von subjektiven Rechten“8, das in der „Paradoxieentfaltung“(ebd.) programmatisch ausufert und unter dem ständigen „Drängen“(J.-F. Lyotard) des „Begehrens“ steht, das -“inviolate“ Prinzip- einer -negativen- „Freiheit“ entgegen, nicht einer -formalen- „Vernunfteinsicht“ o.ä.

Damit aber setzte Hegel eine andere „Torsion“(Lyotard)9 -Verdrehung- in Gang als diejenige, die sich in einer para-doxalen Transfiguration der -psychoanalytischen- Rede und des „Verlangens“ manifestiert, sondern eine -Torsion (J. Baudrillard. Agonie)10- des gesellschaftlichen Realitätsprinzips und explizit in einer -“positiv“ besetzten- “Indifferenz (des Ganzen)“, die Hegel seinerzeit in seinem „System“(ebd.) vindizierte und dergestalt von Niklas Luhmann in seiner „Politik“(S. 297) als durchgängige Begleiterscheinung der modernen „Informationsgesellschaft“ konstatiert wird, die hierfür damit, mit Luhmann:“bezahlt“(Luhmann. Die Politik. S. 297).

Diese Indifferenz herrscht gegenüber einer, wie es der Dichter Stefan George nach Herbert Marcuses („Der eindimensionale Mensch“) Zitat „aussprach“11 - frevelhafte- Zahl (ebd.) von „täglichen Opfern“(ebd. S. 254), die, so Herbert Marcuse, die „industrielle Zivilisation“(ebd.) und ihre Nachfolgeinstitution, die „Informationsgesellschaft“ im „Krieg“(ebd.) auf -jeder- Seite fordert und sie damit nicht nur ihrer „Freiheit“ beraubt. E.B.