Elena Becker MA

Die Interpretation der Stimme oder: Janis Joplins Ball and Chain

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Die Rockmusik der 70er Jahre ist untrennbar mit ihrem Namen verbunden sie gehört zu den Ikonen der „Woodstock“- Legende: die infolge ihres Rauschgiftkonsums im Alter von 27 Jahren allzu früh verstorbene Sängerin Janis Joplin (1943-1970).

Was sie verkörperte, war die Revolte der flower-power- Generation gegen das gesellschaftliche Establishment, ihre Normen und Erwartungen, die sie von sich abwiesen, aber doch gleichzeitig zu erfüllen suchten- wie es im Songtext von Janis Joplin´s „Ball and Chain“ expressiv zum Ausdruck kommt.

Hinter den Protestliedern stand die Sehnsucht nach Anerkennung oder ihrem emotionalen Pendant, einer Liebe, die versagt wird, was auf denjenigen zurück spiegelt, dem diese Zuneigung als nicht verfügbare entzogen bleibt und ihn (sie) zum nicht integrierbaren Versager stempelt: „when I was working for (your) love“(Janis Joplin).

Die Identität scheitert, doch nicht deshalb, weil es ein Scheitern des eigenen Entwurfs und des Protests gab, sondern weil dieser in dem Versuch, sich zu vermitteln stecken blieb, trotzig einem Vorbild zu entsprechen, das seinerseits eine entschwundene Größe ist, so daß die Abhängigkeit von ihr ungelöst bleibt und sich die Subjektwerdung nicht vollenden kann.

Die Last der Anforderung, die das Subjekt an sich selbst stellt, in einer vermeintlichen Überzeugung, die aus einem autoritativen Selbstverständnis eruiert, das in nichts wirklich verankert ist und es deshalb übersteigert, um zu einem Punkt der Selbstvergewisserung zu gelangen, kann nicht abgearbeitet werden und wiegt als bleierne Empfindung dieser Abhängigkeit zu schwer, bis zum Unerträglichen.

Das Subjekt kann sich und die Welt nicht „zusammen kriegen“, es sind auseinander strebende Teile, die in kein integratives Konzept zu bringen sind, weil sie objektiv divergieren.

Denn unverständlich ist diese Welt und ihre Realität an und für sich- als so gewordene und gemachte steht die dem Subjekt gegenüber, das mit ihr konfrontiert ist und dann erst auf Konfrontation mit ihr geht- in demjenigen Grad und in derselben Intensität, die diese Realität an Unbegreiflichem für eine neue Generation bereit hält, die ihr in ihrer adäquaten Weise und mit der Intention, sie zu „korrigieren“, entgegnet.

Sie kann aber ihre Gesetze und immanente Logik nicht negieren, sich nicht als Ganzes davor retten und einholen.

Die die Welt durchgängig bestimmende Kausalität, die die Abhängigkeit der Dinge wie der Individuen voneinander verantwortet, läuft dem Individuum stets voraus und kann nicht zum Stillstand gebracht werden.

Das in der Welt existierende Subjekt bleibt so stets von sich abgründig getrennt.

Der wahrhaft sinngebende Zusammenhang der Welt scheint verloren, trotzdem er immer das sehnsüchtig Gesuchte, besonders einer Generation, die sich dem Neuen verpflichtet, bleibt.

Das Karussell der Zeit, die die sich beschleunigende Dynamik der kausalen Realität und ihre Vergänglichkeit vorschreibt, soll angehalten werden, in einem einzigen, sinn- und bedeutungsvollen Tag zum Stillstand gebracht werden, gleich einem Kunstwerk, das die zeitliche Dauer im Bild oder einer einzigen musikalischen Sequenz verewigt.

Das Morgen ist unwichtig und spielt deshalb keine Rolle, da es ja nur die Wiederholung des Gestern und Heute ist, das die alltägliche Routine bloß fahrplanmäßig weiterfährt, so als ob es auch dieses Morgen, das nur eine Verlängerung der Stecke ist, gar nicht gäbe und keine Zukunft stattfände.

In einem Moment der Ewigkeit soll -im Sinne Hegels- die schlechte Unendlichkeit der Welt aufgehoben und transzendiert werden.

Der Titel „Ball and Chain“ besitzt, musikalisch gesehen, eine Härte, die bewußt eingesetzt ist, und auf diese für den Zeitgeschmack provokative Wirkung aus ist.

Diese Wirkung ist aber nicht nur oder auch musikalisch generiert, sondern besteht nur in der Einheit mit der gesellschaftlichen Aussage, die sich als „Protestnote“ an die (damalige) Gegenwart richtet, die in dieser Musik nichts Harmonisches entdecken konnte und sollte.

Die instrumentelle Interpretation destruiert dieses Gefühl von vorne herein, als „Plötzliches“(Th.W. Adorno) analog zur erlebten Realität.

Dem korrespondiert die Stimme Janis Joplins, die den Songtext nicht einfach absingt, sondern sich selbst zum Instrument wandelt, das dem -naturhaften- Unsprachlichen „expressionistisch“ Ausdruck verleiht.

Dies ist die Stimme der Natur, sagt Th.W. Adorno, des eigentlichen „Ansichs“ und der für sich bestehenden Wahrheit, die -psychologisch- im heteronomen „Überich“ vorgestellt wird.

Das Instrument der Stimme verwandelt sich wiederum zum Rezitativ, das die Textaussage expliziert, bevor es die Stimme ist, die wieder übernimmt und die Melodie um Ausklang bringt, weil auch die Aussage des Liedes im Endeffekt keine sagende ist, sondern, nach Adorno:

„Ausdruck, so dicht am Verstummen, wie in großer neuer Musik nichts so viel Ausdruck hat wie das Verlöschende, der aus der dichten Gestalt nackt heraustretende Ton, in dem Kunst vermöge ihrer eigenen Bewegung in ihr Naturmoment mündet.“(Th.W. Adorno. Ästhetische Theorie. S. 123)

In diesem Sinne ist auch Janis Joplins musikalisch-stimmliche Interpretation des Songs „Ball and Chain“: große Musik. E.B.